StrahlenschutzFokus Ausgabe 2022/2
Nuklearspezifische Gefahrenabwehr: das BfS im Einsatz
Ob schmutzige Bombe oder radioaktive Spielkarten: Wenn in Deutschland radioaktive und radioaktiv belastete Stoffe auftauchen, sind Polizei, Strahlenschutzbehörden und das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) jederzeit einsatzbereit. Im Rahmen der Nuklearspezifischen Gefahrenabwehr – kurz NGA – schaffen sie die Gefahr aus der Welt. Auch bundesweit im UnterstützungsverBund CBRN. Was das ist, was das BfS im Einsatz macht und was das mit radioaktiven Spielkarten zu tun hat, erfahren Sie in dieser Story.
Was ist Nuklearspezifische Gefahrenabwehr?
Laura Kemper-Lohmann, Forscherin am BfS und ihre Freundin Silke haben sich mit Lauras
Kollegen Ahmed zum Kaffee verabredet: „Hey Ahmed, wie geht’s?“ „Gut.“ antwortet Ahmed. „Bist du Big Bang Theory Fan?“ Ahmed zeigt auf Lauras Shirt.
„Ja“, sagt Laura. „Silke und ich haben gestern Abend eine Folge mit radioaktiv gezinkten Spielkarten gesehen. Das konnten wir gar nicht glauben. Da bist du doch der Experte, Ahmed. Meinst du, es gibt wirklich radioaktive Spielkarten?“
Ahmed arbeitet beim BfS im Fachgebiet NGA – der Nuklearspezifischen Gefahrenabwehr. Findet jemand in Deutschland radioaktive Stoffe, zum Beispiel in Form von radioaktiv belasteten Spielkarten, kann die Polizei oder die Strahlenschutzbehörden die Strahlenschutz-Experten des BfS anfordern.
Die radioaktiv gezinkten Spielkarten von denen Laura erzählt, wären so eine Nuklearspezifische Gefahr. Das bedeutet: der radioaktive Stoff gefährdet Menschen und Umwelt. Über eine 24/7 Rufbereitschaft können die Polizei und die Strahlenschutzbehörden die Spezialisten des BfS anfordern. Dann unterstützt das BfS die Einsatzkräfte beratend oder direkt vor Ort. Alle Akteure arbeiten im Rahmen der Nuklearspezifischen Gefahrenabwehr zusammen.
Was sind Nuklearspezifische Gefahren?
Das sind Fälle, in denen radioaktive Stoffe in falsche Hände geraten sind, also unbefugt gehandelt oder missbräuchlich verwendet werden. Es kann zu einer Gefährdung von Leben, Gesundheit und Sachgütern kommen. Das können z. B.
- Anschläge mit radioaktiven Substanzen,
- eine schmutzige Bombe,
- Entwendung von radioaktiven Stoffen,
- oder Fund von radioaktivem Material sein.
Die Nuklearspezifische Gefahrenabwehr im BfS ist Tag und Nacht erreichbar und einsatzbereit. Ein Fachgebiet organisiert die NGA im BfS. Kolleg*innen aus anderen Abteilungen unterstützen die NGA. Das sind unter anderem Spezialist*innen für:
- Mobile Messungen
- Laborarbeiten
- Medizinischen und beruflichen Strahlenschutz. Sie untersuchen im Ernstfall Personen, die Strahlung ausgesetzt waren, unter anderem mit Inkorporationsmessungen und biologischer Dosimetrie.
Was sind Inkorporationsmessungen und biologische Dosimetrie?
Inkorporationsmessungen
Inkorporationsmessungen finden statt, um festzustellen, ob Personen radioaktive Stoffe eingeatmet oder verschluckt haben. Diese Strahlenbelastung im Körper kann von außen gemessen werden oder die radioaktiven Stoffe lassen sich durch Ausscheidungsanalysen nachweisen.
Biologische Dosimetrie
Bei hoher Strahlenbelastung ändert sich das Erbgut eines Menschen. Diese Veränderung wird über eine Blutuntersuchung festgestellt.
Die radioaktiven Spielkarten
Laura, Silke und Ahmed sitzen mit Kaffee zusammen. Laura: „Was macht ihr, wenn ihr angerufen werdet? Seid ihr richtig vor Ort?“ Ahmed: „Wenn wir angefordert werden, ja.“ „Und dann?“
Er fährt fort: „Im Einsatz ist es unsere Aufgabe, die radiologische Lage zu bewerten. Wir sprechen mit der Einsatzleitung und beraten sie zum Strahlenschutz. Wenn nötig, suchen wir mit Messgeräten nach den radioaktiven Stoffen und sagen, um welche Art und welche Menge es sich handelt. Dann wissen wir, welche Gefahr von der radioaktiven Quelle ausgeht – und damit auch, wie wir die Einsatzkräfte und uns schützen müssen. Je nach radioaktiver Gefahr, legen wir dann den Gefahrenbereich fest. Sagen also, wie nah die Einsatzkräfte der Gefahrenquelle kommen dürfen.“
Und Ahmed weiter: „Polizeiarbeit ist auch dabei: Wir unterstützen die Forensik bei unbekannten Proben und polizeilichen Asservaten. Das bedeutet, wir untersuchen die radioaktiven oder radioaktiv belasteten Stoffe, die die Polizei mit unserer Unterstützung bereits sichergestellt hat. Das nennt man „Nukleare Forensik“. Und wir führen Kontaminationskontrollen durch und beraten bei Dekontaminationsmaßnahmen.“
Kontaminationskontrolle
Kontaminationskontrolle bedeutet, dass eine eventuell kontaminierte Person mit einem Messgerät am Tatort nach radioaktiven Stoffen abgesucht wird. Das verhindert, dass die Person radioaktive Stoffe vom Tatort wegträgt und weitere Personen oder das Umfeld kontaminiert.
Dekontaminationsmaßnahme
Eine Dekontaminationsmaßnahme kann z. B. sein, dass eine betroffene Hautstelle mit Wasser und passender Seife abgewaschen wird.
Silke: „Bewerten, beraten, untersuchen, Polizeiarbeit. Echt vielseitig. Und, was meinst du? Gibt es radioaktiv gezinkte Karten?“ Ahmed: „Da kann ich dir richtig was erzählen. Vor einiger Zeit stellte jemand bei einer Müllverbrennungsanlage Strahlenbelastung fest – im Müllfahrzeug! Die Polizei meldete sich bei unserer Rufbereitschaft und wir sind dann sofort los mit unseren Messgeräten. Vor Ort sprachen wir mit der Einsatzleitung und zogen die nötige persönliche Schutzausstattung an: Schutzmaske, Handschuhe und Überzieher für die Schuhe. Dann haben wir uns mit unseren Messgeräten auf die Suche gemacht.
Und tatsächlich fanden wir im Müll Teile von Spielkarten, die mit Jod-125 belastet waren. Gut, dass die Polizei uns sofort angefordert hat – so wurden die radioaktiven Schnipsel nicht weiterverbreitet.
Wir haben die Karten sicher verpackt und ins Labor gebracht, um die Strahlenbelastung zu untersuchen. Und wir haben recherchiert, wo die Karten herkommen könnten. Dafür stehen wir auch international im Austausch.“ Eine illegale Spielstätte ist geschlossen worden. Die Hintermänner und Produzenten der Karten sind zwar nicht gefasst worden, allerdings wurden seit Ende 2017 keine kontaminierten Spielkarten mehr gefunden. (Link zur Case Study der radioaktiven Karten)
Internationale Zusammenarbeit
Neben der nationalen Zusammenarbeit ist das BfS auch international vernetzt und kooperiert im Ausland mit den zuständigen Behörden. Beispielsweise mit der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien für fachlichen Austausch und Berichtswesen. Auch bei den Spielkarten gab es internationalen Austausch – die Spur führte bis nach Südostasien.
Die Zusammenarbeit im UVB-CBRN
Silke: „Spannend! Gut, dass ihr da wart. Wie viele Leute wart ihr denn?“ Ahmed: „In dem Fall waren wir zu zweit.“ Laura: „So wenige? Und was, wenn mal ein richtig großer Einsatz ist? Zum Beispiel ein Anschlag, eine Bombe oder jemand stiehlt radioaktives Material?“ Ahmed: „Sagen wir, eine schmutzige Bombe würde gefunden. Dann könnten am Einsatzort schon mal mehr als 25 Leute vom BfS dabei sein. Das wäre ein Fall, in dem vermutlich das Bundeskriminalamt ermitteln würde. Und das könnte dann Unterstützung vom UnterstützungsverBund CBRN anfordern.“
Schmutzige Bombe
„Schmutzige Bomben" bestehen aus konventionellem Sprengstoff, denen radioaktive Stoffe beigemischt oder beigefügt sind. Der konventionelle Sprengstoff soll bei diesen Sprengsätzen dazu dienen, die radioaktiven Stoffe in der Umwelt zu verteilen. Mehr Informationen finden Sie hier: www.bfs.de/schmutzige-bombe
Silke: „UnterstützungsverBund-CB-was?“ Ahmed: „Das ist ein Verbund von Bundesbehörden. UVB-CBRN bedeutet: Unterstützungsverbund Chemische, Biologische, Radiologische und Nukleare Gefahren. Im UnterstützungsverBund CBRN arbeiten wir, das BfS, zusammen mit der Bundespolizei (BPOL), dem Bundeskriminalamt (BKA), dem ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr, dem Robert Koch Institut (RKI) und dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologien/ABC-Schutz.“
Silke: „Da kann ich mir vorstellen, dass viele Einsatzkräfte zusammenkommen.“ Ahmed: „Allerdings. Und unsere Aufgabe ist es, gemeinsam die Gefahrenlage, ob nun chemisch, biologisch, radiologisch oder nuklear, zu bewältigen. In unserem Beispiel, die schmutzige Bombe, die nicht nur Sprengstoff enthält, sondern auch radioaktive Stoffe. Die Polizei leitet den Einsatz und wir, das BfS, beraten und unterstützen im UnterstützungsverBund CBRN zu den radiologischen Aspekten.“
Silke: „Wie koordinieren sich so viele Leute im Einsatz?“ Ahmed: „Das üben wir mit den beteiligten Einsatzkräften. Und auch intern im BfS üben wir regelmäßig verschiedene Szenarien. Wir sind 24/7 in Rufbereitschaft und der UnterstützungsverBund CBRN ist es auch.“
Wie sieht eine Übung aus?
Die NGA ist jederzeit einsatzbereit. Das BfS übt kontinuierlich intern und mit externen Partnern für den Ernstfall. Da können schon mal 300 Personen zusammenkommen.
Intern
Die NGA-Einheit im BfS macht regelmäßige Schulungen und praktische Übungen. Videokonferenzen werden zusätzlich verwendet, um z. B. Vorgehensweisen abzustimmen.
Extern
Mit externen Partnern gibt es viele Trainings und Übungen, um Abläufe zu koordinieren, zum Beispiel große Tatortübungen oder auch Übungen verschiedener Szenarien über mehrere Tage.
Dabei üben mehr als 25 Personen vom BfS mit bis zu 250 weiteren Personen von Behörden der Gefahrenabwehr. Geübt wird die Zusammenarbeit:
- Radiologische und polizeiliche Lage bewerten und gemeinsames Vorgehen abstimmen
- Radioaktive Stoffe und belastete Proben finden, messen, identifizieren, sichern und labortechnisch untersuchen
- Ausbreitungsrechnungen anhand der Wind- und Wetterverhältnisse durchführen, wenn z. B. eine schmutzige Bombe explodieren würde
- Mögliche kontaminierte Menschen identifizieren, dekontaminieren und, wenn nötig untersuchen, zum Beispiel durch Inkorporationsmessungen
Damit bei dem Fund einer schmutzigen Bombe kein Mensch zu Schaden kommt, kann ein „Manipulator“ eingesetzt werden – ein ferngesteuerter Roboter.
Immer einsatzbereit
Die drei sitzen immer noch zusammen im Café. „Ach du meine Güte! Schon so spät.“ schreckt Laura plötzlich auf: „Danke für die vielen Einblicke, Ahmed. Gut zu wissen, dass das BfS auch in radiologischen Gefahrensituationen immer erreichbar und einsatzbereit ist. Und mit den anderen Akteuren der Gefahrenabwehr zusammenarbeitet – aber jetzt müssen wir wirklich los.“
Das BfS ist im Rahmen der NGA und im UnterstützungsverBund CBRN jederzeit auf einen Einsatz bei einer radiologischen Gefahrenlage vorbereitet. Sie arbeiten eng mit anderen Akteuren der Gefahrenabwehr und des Katastrophenschutzes zusammen und sind international vernetzt.
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