StrahlenschutzFokus: Ausgabe 3/2021
BeVoMed: Voneinander lernen
Röntgen, Tumorbekämpfung, Nuklearmedizin: Strahlung in der Medizin kann heilen und Leben retten. Eingesetzt wird sie nur, wenn der medizinische Nutzen größer ist als ein mögliches Risiko. Dabei passieren – sehr selten – Fehler: Bei einer von 200.000 Bestrahlungssitzungen kommt es z. B. zu Fehldosierungen oder Verwechslungen. Werden dabei bestimmte Meldekriterien erfüllt (z. B. Patient*innenverwechslung, Auftreten von Hautschäden), handelt es sich im Sinne des Strahlenschutzrechts um ein bedeutsames Vorkommnis in der Medizin (BeVoMed).
Die gute Nachricht: Aus den Fehlern Einzelner können alle lernen. Das Meldesystem „BeVoMed“ des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Strahlenanwendungen in der Medizin
Strahlenanwendungen in der Medizin sind vielfältig und reichen vom Röntgen über nuklearmedizinische Diagnostik bis zur Tumorbestrahlung. Man unterscheidet zwei Felder: Strahlendiagnostik und Strahlentherapie.
Zur Strahlendiagnostik gehören z. B. die Computertomographie (in der Tumordiagnostik oder bei Verletzungen nach Unfällen), ebenso das Spritzen von Radionukliden (um kleine Tumoren oder Entzündungsherde aufzuspüren).
In der Strahlentherapie wiederum bekämpft und zerstört man mit Strahlen z. B. Tumoren oder heilt mithilfe von Radionukliden: Gezielt in den Körper injiziert, machen sie etwa Tumoren unschädlich oder heilen Erkrankungen an der Schilddrüse.
Und Strahlenanwendungen in der Medizin nehmen zu: 2018 wurden allein in Deutschland ca. 470.000 Strahlenbehandlungen, 13 Millionen Computertomographien und 2,5 Millionen nuklearmedizinische Untersuchungen durchgeführt.
Doch je mehr Behandlungen es gibt, desto mehr Fehler können passieren. Werden dabei bestimmte Meldekriterien erfüllt, handelt es sich um bedeutsame Vorkommnisse in der Medizin, die gemeldet werden müssen.
Bedeutsame Vorkommnisse in der Medizin
Bedeutsame Vorkommnisse in der Medizin sind zum Beispiel: unbeabsichtigte Fehldosierung von Strahlung oder die Verwechslung von Körperteilen oder Patient*innen. Oft ist menschliches Versagen die Ursache.
Umso wichtiger ist es, aus den bedeutsamen Vorkommnissen zu lernen. Damit ähnliche Fehler nicht wieder passieren.
Bis Ende 2018 funktionierte dies wie folgt. Ein Beispiel:
Im Wartezimmer einer Hamburger Praxis für Strahlentherapie sitzen zwei Patientinnen. Sie tragen den gleichen Nachnamen und sehen sich ähnlich. Eine der Patientinnen wird aufgerufen, doch die falsche meldet sich. Die medizinisch-technische Assistentin bemerkt den Irrtum nicht – trotz üblicher Sicherheitsvorkehrungen wie einem Foto auf der Akte. Und schon ist es passiert: Die Patientin bekommt eine falsch dosierte Strahlentherapie.
Als der Fehler entdeckt wird, meldet der Strahlenschutzverantwortliche (SSV) der Praxis die Verwechslung sofort der zuständigen Landesbehörde.
Zugleich analysiert der Strahlenschutzverantwortliche, wie es zur Verwechslung kommen konnte. Und entwickelt weitergehende Maßnahmen, um sie zukünftig zu verhindern – über das übliche Foto auf der Akte oder das Abfragen des ganzen Namens hinaus. Die Maßnahmen gibt er ebenfalls an die zuständige Behörde, die sie prüft und bewertet.
Welche Landesbehörden sind zuständig?
Die Zuständigkeiten sind föderal geregelt: Jedes Bundesland bestimmt selbst, welche Behörden für bedeutsame Vorkommnisse zuständig sind.
Das können in einem Bundesland die Gewerbeaufsichtsämter sein, in einem anderen das Landesamt für Umweltschutz.
So ist dafür gesorgt, dass ein ähnlicher Fehler in der Praxis nicht wieder passiert.
Jedoch: Bis Ende 2018 waren Praxen und Kliniken zwar verpflichtet, der zuständigen Behörde wie im Beispiel beschrieben ein bedeutsames Vorkommnis zu melden und Maßnahmen zu erarbeiten. Aber es fehlte an expliziten Meldekriterien. Und es fehlte an einer zentralen elektronischen Erfassung der Vorkommnisse, an zentraler Auswertung und einer länderübergreifenden Vernetzung von Behörden sowie radiologischen, nuklearmedizinischen und strahlentherapeutischen Praxen und Kliniken.
So konnten eine Strahlentherapie-Praxis in Münster oder eine Klinik in München nicht aus den Erfahrungen der Hamburger Praxis lernen – und keine Strategien entwickeln, ähnliche Verwechslungen zu verhindern.
BeVoMed: Besser aus Fehlern lernen
Seit dem 31. Dezember 2018 ist das anders. Zu diesem Stichtag traten das neue Strahlenschutzgesetz und die Strahlenschutzverordnung in Kraft.
Strahlenschutzgesetz und Strahlenschutzverordnung
Durch das neue Strahlenschutzgesetz und die Strahlenschutzverordnung gibt es erstmals bundeseinheitliche Meldekriterien für das Auftreten von Vorkommnissen in Einrichtungen mit Strahlentherapie und Strahlendiagnostik. Mehr Informationen dazu finden Sie hier: www.bfs.de/strahlenschutzgesetz
Im Zuge dessen wurde u. a. das elektronische Meldesystem „Bedeutsame Vorkommnisse in der Medizin“, kurz: „BeVoMed“, ins Leben gerufen: eine Webanwendung, die es ermöglicht, alle Meldungen und Maßnahmen zu bedeutsamen Vorkommnissen zu erfassen und in einer Datenbank zu speichern. Auf Basis der Eintragungen im BeVoMed wertet die zentrale Stelle im BfS die Vorkommnisse aus und stellt relevante Ergebnisse für andere Praxen oder Kliniken bundesweit digital zur Verfügung. Damit auch die Klinik in München von den Hamburger Erkenntnissen profitieren kann.
Wie das geht, zeigt unser Beispiel:
1. SSV meldet Vorfall an Behörde
Der Hamburger Strahlenschutzverantwortliche meldet die Patientinnenverwechslung der zuständigen Landesbehörde und entwickelt Maßnahmen, die die Behörde prüft und bewertet. So wie es auch vor Inkrafttreten des neuen Strahlenschutzgesetztes der Fall war.
Erst- und Abschlussmeldung
Zwei Arten von Meldungen sind nun Standard: Erstmeldung und Abschlussmeldung.
Erstmeldung:
Der*die SSV meldet das bedeutsame Vorkommnis sofort der zuständigen Landesbehörde.
Danach hat er*sie bis zu sechs Monate Zeit, es zu analysieren und Maßnahmen vorzuschlagen, die ähnliche Fehler zukünftig verhindern.
Abschlussbericht:
Der Abschlussbericht enthält die Analyse des bedeutsamen Vorkommnisses und die Lösungsvorschläge des SSV.
Die zuständige Landesbehörde bewertet die Maßnahmen.
Neu ist: Bundesweit greifen nun einheitliche Meldekriterien. Sie gelten für alle Strahlenanwendungen am Menschen, z. B. in der Röntgendiagnostik, Nuklearmedizin und Strahlentherapie.
Meldekriterien nach StrlSchV Anlage 14
Gemäß Anlage 14 der aktuellen Strahlenschutzverordnung gelten bundeseinheitliche Kriterien, wann gemeldet werden muss.
Kriterien können sein:
- Patient*innenverwechslungen
- Bestrahlungsplanverwechslungen
- Überschreitung von Meldeschwellen
Mehr Informationen zur Strahlenschutzverordnung Anlage 14 finden Sie hier: www.bfs.de/faqs-anlage14
2. Behörde meldet Vorfall an BeVoMed
Ebenfalls neu: Die Landesbehörde meldet nun ihrerseits die Patientinnenverwechslung und die ergriffenen Maßnahmen an das Meldesystem „BeVoMed“ im BfS – digital und pseudonymisiert. Die Behörde gibt also die Informationen weiter – nicht jedoch, um welche Praxis oder welche Patientinnen es sich handelt. Auf diese Weise werden alle Vorkommnisse in Deutschland in der zentralen Datenbank des Meldesystems „BeVoMed“ gesammelt.
3. Zentrale Stelle im BfS wertet aus
Die zentrale Stelle des BfS wiederum wertet die Informationen aus: Sie prüft, ob die Erfahrungen und Maßnahmen aus Hamburg übertragbar sind. Ob weitergehende Maßnahmen über das übliche Foto auf der Akte oder ein aktives Abfragen des Namens hinaus ähnliche Patient*innenverwechslungen in anderen Praxen und Kliniken verhindern können.
4. Zentrale Stelle veröffentlicht Auswertungen
Der letzte und wichtigste Schritt: Die zentrale Stelle im BfS veröffentlicht die Ergebnisse ihrer Auswertung und gibt so für andere Praxen und Kliniken relevante Informationen weiter. Strahlenschutzverantwortliche aus Praxen und Kliniken sowie zuständige Behörden aus ganz Deutschland können nun darauf zugreifen und von den Erkenntnissen der Hamburger Praxis profitieren. Was sie nicht erfahren: wo die Ereignisse stattgefunden haben. Die Veröffentlichung erfolgt anonymisiert.
Lernen und Fehler vermeiden
Damit Strahlenschutzverantwortliche aus Kliniken und Praxen sowie zuständige Behörden einfach auf die Auswertung zugreifen können, veröffentlicht das BfS sie auf zwei Arten:
Jahresbericht
Im Jahresbericht wertet das BfS alle gemeldeten bedeutsamen Vorkommnisse aus und beleuchtet ausgewählte bedeutsame Vorkommnisse des Vorjahres sowie besondere Schwerpunkte im Bereich BeVoMed.
Der Jahresbericht wird u. a. auf der Website des BfS veröffentlicht. Den ersten Jahresbericht von 2019 finden Sie hier: www.bfs.de/bevomed-jahresbericht
Kurzfristige Informationen
Bei Vorkommnissen mit besonderer Bedeutung veröffentlicht das BfS seine Erkenntnisse zusätzlich zum Jahresbericht als sogenannte kurzfristige Informationen in einem geschützten Bereich der BfS-Website.
Zugang zu diesem geschützten Bereich haben neben dem Bundesumweltministerium und den zuständigen Behörden die Fachgesellschaften und Berufsverbände für Nuklearmedizin, Radiologie und Strahlentherapie sowie Medizinphysik – und damit die Strahlenschutzverantwortlichen der Praxen und Kliniken.
Jetzt können Strahlenschutzverantwortliche – egal ob in Münster, Meißen oder München – schnell und leicht die Auswertung und die in Hamburg entwickelten Maßnahmen einsehen und daraus lernen. In dem oben geschilderten Beispiel wurden (neben den üblichen Sicherheitsmaßnahmen) z. B. folgende wirksame Maßnahmen gegen Patient*innenverwechslung erarbeitet:
- Verwendung von Patient*innenarmbändern
- Verwendung von Gesichtserkennungs- und Barcode-Kartensystemen
- Konsequente Umsetzung des 4-Augen-Prinzips
Setzen die Strahlenschutzverantwortlichen diese Maßnahmen um, können sie ähnliche kritische Situationen wie in Hamburg in der eigenen Einrichtung vermeiden.
Dank dem Meldesystem „BeVoMed“ und der zentralen Stelle im BfS können radiologische, nuklearmedizinische und strahlentherapeutische Praxen und Kliniken voneinander lernen und Fehler vermeiden. So werden Risiken minimiert – und Strahlenanwendungen in der Medizin noch sicherer.
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